Nestbeschmutzung

Aufwachen gegen 7 Uhr weil die Bauarbeiter sich gegenseitig anschreien und die ersten motorbetriebenen Bauwerkzeuge rattern. Bei den momentanen Nachttemperaturen oberhalb der 20°C, lass sogar ich das Fenster offen (eigentlich bin ich sehr geräuschempfänglich und daher bleibt es sonst zu). Daher trennen mich nur ca. 50 Meter Luftlinie von den Gerüsten, an einem der letzten unsanierten Häuser in der Straße.

Aber erst wenn das letzte Dachgeschoss ausgebaut, die hundertste Weinhandlung einen günstigen Imbiss verdrängt, und die Straßen nur noch mit flotten Audi TTs und SUVs beparkt sind – erst dann werden die Zugezogenen merken, dass sie auch gleich nach München hätten ziehen können.

Grand Theft Auto IV – Sim Amok

I did it! Ich habe mir eine Playstation3 in der Videothek um die Ecke ausgeliehen. Natürlich nur um dem Phänomen Grand Theft Auto IV auf den Grund zu gehen.

Um es vorweg zu nehmen: GTA 4 ist ein faszinierendes und doch sehr zwiespältiges Spiel. Das ist kein Spielspass mehr, sondern eher die Simulation einer künstlich geschaffenen Parallelwelt in der anarchistische Testosteron-Phantasien umgesetzt werden können. In der Intimsphäre des eigenen Wohnzimmers darf jeder auf sämtliche gesellschaftlichen Normen scheißen. Im Spiel geht es um die individuelle Freiheit, alles zu tun, was man tun will. Es geht nicht um die Anderen. Es geht um Egozentrik. Die Spielfigur steht sogar wortwörtlich meist im Mittelpunkt des Bildschirms. Man tut was man will.

Grand Theft Auto 4

Bei meinen ersten ungelenken Fahrmanövern mit gestohlenen Autos überrolle ich versehentlich ein paar Passanten. Die Darstellung der physischen Verhältnisse eines solchen Aufpralls ist dabei so realistisch, dass ich gleich mal mit Vollgas über die Gehwege und durch Parkanlagen fahre. Unschuldige Passanten stets im Visier. Der virtuelle Amoklauf. Klar, man zieht mit so einem destruktiven Verhalten die Aufmerksamkeit der spiel-internen Polizei auf sich. Ich werde schließlich verhaftet. Aber egal, denn sofort wache ich ja wieder ohne Geld und Waffen vor der Polizeistation auf. In einem Internetforum empfiehlt ein Spieler sich immer konsequent von der Polizei erschießen zu lassen: Denn dann wacht man vor dem Krankenhaus auf und verliert seine Waffen nicht. Wie man an Raketenwerfer, Schrotflinte oder Baseballschläger kommt, steht im gleichen Internetforum. Man ruft von seinem Handy im Spiel einfach eine bestimmte Telefonnummer an und schon hat man die „einfache“ oder „erweiterte“ Waffensammlung. Also schieße ich nachts im Park von Liberty City mit meinem Scharfschützengewehr eine Laterne nach der anderen aus. Man sollte das aber nicht zu nah an der Straße machen, sonst hat man gleich wieder einen Streifenwagen an der Ferse. Im großen Park-Springbrunnen komme ich dann auf die Idee mit einer anderen geheimen Telefonnummer (Cheat) ein völlig überdimensioniertes Jetboot erscheinen zu lassen und damit den Tümpel aufzuwühlen. Ich fahre so lange im Brunnen umher, bis ich das Boot über den Beckenrand katapultiere und es auf dem Asphalt liegen bleibt. Dann laufe ich einfach auf die nächste Straße. Bleibe mittendrin stehen und verursache damit einen Verkehrsstau. Aber Vorsicht: Nicht alle Fahrer halten an – die aggressiveren Charaktere fahren einen auch schon mal rücksichtslos über den Haufen! Dann laufe ich die Reihe der angestauten Autos und fluchenden Fahrer ab und wähle mir ein Auto aus. Mit einem Druck auf die Dreieck-Taste reißt meine Spielfigur die Autotür auf und zerrt den Fahrer auf die Straße. Die Beifahrerin flieht panisch aus der Beifahrertür. Ich steige ein, gebe Vollgas und remple mich durch die Wagen vor mir. Dann bemerke ich, dass auf dem Rücksitz des gekaperten Autos noch eine Frau sitzt, die bei jeder neuen Beule im Auto und jedem meiner Handbremsen-Manöver hysterisch schreit. Ich kümmere mich nicht darum und wähle einen guten Radiosender aus. Die zahlreichen Radiostationen im Spiel werden unter anderem von Juliette Lewis, Iggy Pop, Femi Kuti und Karl Lagerfeld moderiert. Die Musik reicht dabei von den Sisters of Mercy über John Coltrane bis zu Agnostic Front, Shaggy und Les Savy Fav. Sogar die von mir sonst gemiedenen Musikrichtungen Reggae und HipHop machen im passenden Autotyp Laune. Mit dem Handy kann man jederzeit den aktuell im Radio gespielten Song erfragen, und ihn dann auch außerhalb von Liberty City (also in der echten Welt) als MP3 bei Amazon kaufen.

Wenn man also so mit dem Soundtrack seiner Wahl durch die Stadt fährt, die Kreis-Taste für die authentische Kinokamera mit den sich ändernden Blickwinkeln gedrückt hält, dann fühlt sich das schon nach ganz großem Kino an. Und da man das alles selbst auswählt und steuert, fühlt es sich sogar noch um einiges direkter und „echter“ an. Die Komplexität des Spiels ist so hoch, dass die Gesamtheit an Möglichkeiten mehr als die Summe der einzelnen programmierten Teile ergibt. So können sich individuelle Spielerfahrungen ergeben, die von den Game-Designern eigentlich gar nicht vorgesehen waren. Wenn man nicht der relativ linearen Storyline des Spiels folgt, entdeckt man eine fremde, runtergekommene und zugleich faszinierende Welt. Die Menschen denen man auf der Straße begegnet, lesen Zeitung, nehmen Handygespräche an oder essen einen Hotdog. Und sie sehen fast alle unterschiedlich aus. Sensationell ist das Sounddesign des Spiels: Wenn man auf den Holzbrettern der Strandpromenade läuft und einen Metallmülleimer anrempelt, dann hören sich Schritte, Mülltonne und die Menschen in der unmittelbaren Umgebung auch so an, wie sie sich auch in „echt“ anhören würden!

Die überraschende Faszination für das Spiel wurde sicher auch durch einen relativ abgedunkelten Raum, gute Lautsprecherboxen und einen 40“ Fernseher unterstützt. Den Hinweis aus dem Begleitheft pro Stunde mindestens 15 Minuten Spielpause zu machen, habe ich natürlich ignoriert. Laut Spielstatistik habe ich grade mal 4,49% des Spiels gelöst.

Das Spiel ist in Deutschland frei ab 18 Jahren. Theoretisch gut so, aber gerade so etwas war für mich als Teenager ein ganz besonderer Anreiz. Und sicherlich bekommt man das heute als 14-Jähriger so einfach wie Zigaretten oder Bier. Früher war ich bei den ganzen Gewalt-durch-Computerspiele-Diskussionen meist äußerst liberal. Nach diesem Spiel muss ich meine Position irgendwie neu überdenken: Der technologische Fortschritt der Simulation von Wirklichkeit ist enorm. Die nächsten 20 Jahre werden die Simulation wohl extrem nahe an die echte Erfahrung heranrücken. Faszination und Grauen. Als ich vorgestern um kurz nach Mitternacht die Playstation zurück in die Videothek brachte, fühlte ich mich schon fast so allmächtig wie die 4 Stunden zuvor im Spiel. Soll ich einfach auf die Strasse schlendern und einen Stau provozieren? Den Fahrer rausprügeln? Im schlimmsten Fall wache ich ja sowieso nur kurze Zeit später vor dem Krankenhaus auf und bin wieder wie neu…

Lernbehinderung

Als ich im Mai meinen Ford Fiasco verkaufte war mir nicht bewusst, welches Nachspiel so etwas haben kann. Einen Standard-Verkaufsvertrag habe ich mir beim ADAC runtergeladen und dann das Auto gegen 200 Euro Bargeld und die Unterschrift ausgehändigt. Der Käufer verpflichtete sich das Auto innerhalb der nächsten 3 Werktage ab- und umzumelden. Hat er aber nicht gemacht, denn inzwischen kam bereits der fünfte Strafzettel.

Auf meine wohlwollenden Nachrichten auf seiner Mailbox („…bitte melde den Wagen sofort ab, du machst dich strafbar“) hat der junge Mann nicht reagiert. Meine kurze Netzrecherche hat ergeben, dass der 24-Jährige wohl eine Schule für Lernbehinderte besucht hat. Jetzt soll seine Lernfähigkeit nicht mehr von meinen Anrufen, sondern direkt von der Polizei untersucht werden. Was mich am meisten ärgert ist, dass meine Menschenkenntnis entweder massiv versagt hat… oder ist der Typ einfach nur von der Komplexität des Lebens überfordert?

Good Bye Ford Fiasco

Mein alter Ford FiascoMein maritimblauer Ford Fiasco ist seit gestern verkauft. Jetzt bin ich geschockt wie stark die emotionale Bindung zu 875kg Blech sein kann: Ich vermisse ihn schon jetzt. Treu hat er mir 4 Jahre ohne ADAC-Einsatz zur Seite gestanden und musste nur einmal abgeschleppt werden, als Freunde ihn mit Benzin anstatt mit Diesel fütterten. Er hatte nur wenig Komfort, nicht einmal einen Zigarettenanzünder (ich rauche sowieso nicht im Auto) oder eine Intervall-Schaltung für den Scheibenwischer (nur An oder Aus): Fast schon minimalistisch schön war der Wagen.

Gestern habe ich ihn für eine Unterschrift auf einem ADAC-Kaufvertrag und 200 Euronen in neue Hände gegeben. Ich hoffe er hat es gut im Speckgürtel von Berlin, wo er jetzt einen 24-jährigen Familienvater samt Frau und Kind durch die Gegend fahren wird.

Spuren des Alters

Scheisse, wo steht denn jetzt das Auto?

Eine Frage dich ich in meinen Zwanzigern nicht kannte: Da bin ich ohne nachzudenken (unbewusste Kompetenz) einfach in die richtige Seitenstrasse gelaufen und haben den Ford Fiasco aufgeschlossen. Inzwischen suche ich öfters erfolglos erst mal 10 Minuten nach dem Auto (bewusste Inkompetenz). Ich rede mir aber gerne ein, dass es an meinen wenigen Autobewegungen liegt (grade im Winter) – wäre ’ne Möglichkeit…