Datalooliste 2008

Alle Jahre wieder: Mein privater Kreuzzug des guten Geschmacks.

Album:
Foals – Antidotes / Irgendwie total neu oder doch nur The Cure on Speed? Beides!

Bon Iver – For Emma, Forever Ago / Melancholischer Slacker nimmt Liebeskummer-Platte in verschneiter Waldhütte auf und raus kommt ein uncooles Album was unfassbar cool klingt.

Beck – Modern Guilt / Nach Jahren der Mittelmäßigkeit bringt der Scientologe Beck Hansen endlich mal wieder ein tolles Album in die Welt. Fast so gut wie damals „Odelay“.

Nicht ganz in meine Jahres-Top-Liste hat es die neue Bloc Party Scheibe „Intimacy“ (nur teilweise und nicht durchgängig sensationell) sowie „Santogold“ von Santogold geschafft. Aber beide waren sehr knapp dran! Persönliche Neuentdeckungen außer Konkurrenz (Release Date!) waren Billie Holiday, Ella Fitzgerald und Edith Piaf.

Film:
There will be Blood / Ein fettes Theaterstück als Film getarnt.

No Country for Old Men / Schon gut und so… trotz Oskars.

39,90 / Kleiner Film abseits der Massenwahrnehmung. Extrem witzig und für (Ex-)Werber wie mich ein absolutes Muss.

Livekonzert:
Alle Mini-Gigs im Schokoladen / Ja, auch in diesem Jahr wieder! Ich liebe die Lofi-Lounge (Mittwochs) und Soundtrack (Donnerstags)

Foals (trotz Columbiafritz) / Elektrisierend wie ganz früher mal Mogwai, nur viel besser!

Bon Iver (Postbahnhof) / Hippieskes Schlurch-Geschrammel, das live dann überraschend viel Power hatte.

Johanna Zeul (Intersoup) / Handgemachte Musik einer jungen Neuköllnerin mit viel Herzblut.

Live enttäuscht haben TV on the Radio und leider auch die Battles.

So, das war’s von meiner Seite. Jetzt seid ihr dran! Tippt eure Favoriten hier in die Kommentare!

Maurice, zwo, drei

Der wunderbar bekiffte Ekke mit den crazy Anglizismen ist voll back und heißt jetzt Maurice. Ich hab mich ja hier schon öfters über den desolaten Zustand der deutschen Humor-Szene ausgelassen und kann mich eigentlich nur zum frühen Harald Schmidt, Grissemann & Stermann sowie dem neueren Christian Ulmen bekennen. Das Internetformat Ulmen.tv verfolge ich von Anfang an, wobei ich die Figuren Alexander von Eich und Knut Hansen eher mittelmäßig finde. Uwe Wöllner lohnt sich aber fast immer, auch wenn es scheinbar mit dem Arbeitsamt in Berlin Ärger gab und die entsprechenden Folgen stillschweigend gelöscht wurden (da versteht man wohl keinen Spaß!).

Jetzt ist mein Favorit aus dem Vorgängerformat „Mein neuer Freund“ wiederbelebt worden: Der ehemalige Ekke heißt jetzt Maurice und ist wieder da! Ansehbefehl!

Becks modernes Schuldbewusstsein

Nach dem Rücktritt von Beck möchte ich an dieser Stelle feststellen, dass sein neues Album „Modern Guilt“ wirklich wieder hörenswert ist. Nach den drei vorangegangenen und belanglosen Scheiben „Guero“, „Guerolito“ und „The Information“, möchte man fast Becks Mitgliedschaft bei den Scientologen vergessen…

Unbestätigten Quellen zufolge lief im SPD-Radio stündlich Becks Song „Loser“.
(Posting inspired by Dr. Cube)

Daytrotter Sessions are the new Peel Sessions

Da meine kürzliche knappe Erwähnung der Daytrotter Sessions dem ganzen Phänomen nicht gerecht wird, habe ich mich entschlossen, jetzt noch mal was darüber zu schreiben.

Daytrotter.com ist die Website eines Aufnahmestudios mit dem bezeichnenden Namen Futureappletree Studio 1, das sich irgendwo in der Einöde des mittleren Westens der USA befindet. In diesem Studio finden regelmäßig Jam-Sessions mit (noch) wenig bekannten Musikern und Bands aus einem Umfeld statt, das man früher mal mit „Independent“ oder „Alternative“ bezeichnen konnte. Das interessante dabei ist, dass fast alle Jam-Sessions einen charakteristischen Hippie-Touch haben und meistens semi-akustisch und semi-live aufgenommen wurden. Damit bildet Daytrotter einen Gegentrend zu durchproduzierter elektronischer Musik wie Techno, Elektronica oder Pop. Durch das Gesamtkonzept und die reduzierte analoge Aufnahmetechnik ergeben sich pro Künstler 3 bis 5 intime Session-Songs die alle kostenlos als mp3 heruntergeladen werden können.

In dem umfangreichen Song-Archiv befinden sich momentan 1332 Songs – Also eher was für ein durchregnetes Wochenende als mal schnell zum Reinschauen. Was aber Daytrotter erst so richtig komplett macht, sind die hervorragenden Illustrationen, die alle direkt aus dem Summer of Love zu kommen scheinen. Jeder Künstler bekommt seine eigene bunte Illustration die als Plattencover (im mp3-Tag) und als ästhetisches Aushängeschild der jeweiligen Session fungiert.

Ich habe gerade mal 2% der Songs (so an die 30) gehört, möchte euch aber hier schon mal ein paar Empfehlungen aussprechen:

Foals

Bon Iver

Early Day Miners

Holy Fuck

And You Will Know Us By The Trail Of Dead

Top-Empfehlung für alle mit RSS-Reader: Feed abonnieren und regelmäßig neue Sessions hören!

Freies Radio Berlin

Gestern Abend mit A. die Schönhauser Allee hoch gelaufen und dort so etwas wie eine Radiostation mit davor umherlungernden Menschen entdeckt. Es ist die Funkwelle FM und die Macher schreiben in ihrer Geheimbotschaft:

Unser Sendestudio ist in der Schönhauser Allee 161a. Die Menschen, die daran vorbeigehen, können durch ein großes Schaufenster direkt hineingucken. Das tun sie aber nicht. Sie laufen, den Blick geradeaus gerichtet, an uns vorbei. […] Sie hören uns aber nicht, denn entweder sind sie betrunken, sie verstehen unsere Sprache nicht, oder sie haben Kopfhörer auf.

Wir haben gestoppt und nachgefragt. Als Dank wurden wir erst mal unfreundlich angeranzt. Als wir dann aber hartnäckig und auch ein wenig schlurchig (Vorsicht Paradox!) weiterfragten, wurden die Gestalten ein wenig zutraulicher und zeigten uns die Sendeantenne auf der Kirche und kommentierten ihre Aktivitäten mit „dit is Berlin“.

Das Radioprojekt versteht sich als „Freies Radio in Berlin“ und möchte dem massenkonfektionierten Mainstream aus dem Äther etwas entgegensetzen. Gesendet wird noch bis zum 17. August: 24 Stunden auf 95,2 MHz und auch im Netz.

Smokers Delight

Am Wochenende lese ich in der ZEIT einen Artikel zum Rauchverbot und dem kommenden Prozess von Sylvia Thimm vor dem Bundesverfassungsgericht. Halt! Die Sylvia vom „Doors“ um die Ecke?! Mensch, die kenn ich doch!!!

Über ihre Gäste sagt Sylvia „Die sind schon groß, die können selbst entscheiden“ und „Meine Gäste wollen keine Cocktails oder linksdrehenden, aufgeschäumten Yogi-Tee. Die wollen Bier, Wodka oder Whisky – und dazu eine Zigarette“

Rauchzeichen

Finde ich ja super, wenn Leute für ihre Überzeugung kämpfen. Die Überregulierung durch Deutschland und die EU darf nicht einfach hingenommen werden. Sylvias Kneipe „Doors“ ist ohne Rauch so wenig vorstellbar, wie Kino ohne Ton oder Schäuble ohne Überwachungsdrang. Da ihre Klage jetzt erfolgreich war, wird im Doors auch weitergeraucht!
Go Sylvia, Go!

Hätte das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung doch wenigstens ein Zehntel der Aufmerksamkeit vom Rauchverbot bekommen…

Quelle: MoPo
Empfehlenswert zum Thema: Spiegelfechter

Release-Party: Zukunft und die Lichter

Prima! Zukunft und die Lichter laden ein zum Feiern. Samstag, 5. Juli 2008, 21 Uhr in der Wabe:

 Liebe Freunde der akustischen Populärmusik deutscher Sprache und von Zukunft und den Lichtern,

es ist soweit, wir feiern!
Ein bisschen verspätet. Und zwar unser digitales Release auf Mondo Moon Publishing.

Deshalb spielen wir in einem ganz besonders stilvollen Konzertsaal, nämlich der Wabe
http://www.wabe-berlin.de/
in der Danzigerstraße 101, am

Samstag, den 5.07.08 um 21 Uhr.

Kostenpunkt 5 bis 8 € (davon bekommen wir einen großen Teil, ist also für einen guten Zweck ;-))

Außerdem werden wir unterstützt von der bezaubernden Carrie Erving
http://profile.myspace.com/index.cfm?fuseaction=user.viewprofile&friendid=64854646

Und zur Feier als Geschenk an Dich haben wir einen Rohmix, den es eigentlich erst im Spätsommer auf unserem baldigen Album gibt, zum download online gestellt auf unserer Myspace-Seite
http://www.myspace.com/zukunftunddielichter

Wir freuen uns also auf eure Kinder, Omas, Neffen, Brüder, Schwestern, Freunde, Bekannte, Liebhaber, Ehegatten, Hamster und auf DICH!

Gruß

El Futuro

Empfehlung: Hingehen, anhören, kaufen, kaufen.

Und wer das nicht schafft, der MUSS nach zum Biberacher Schützen reisen – dort spielen sie am 12.7.2008!

Grand Theft Auto IV – Sim Amok

I did it! Ich habe mir eine Playstation3 in der Videothek um die Ecke ausgeliehen. Natürlich nur um dem Phänomen Grand Theft Auto IV auf den Grund zu gehen.

Um es vorweg zu nehmen: GTA 4 ist ein faszinierendes und doch sehr zwiespältiges Spiel. Das ist kein Spielspass mehr, sondern eher die Simulation einer künstlich geschaffenen Parallelwelt in der anarchistische Testosteron-Phantasien umgesetzt werden können. In der Intimsphäre des eigenen Wohnzimmers darf jeder auf sämtliche gesellschaftlichen Normen scheißen. Im Spiel geht es um die individuelle Freiheit, alles zu tun, was man tun will. Es geht nicht um die Anderen. Es geht um Egozentrik. Die Spielfigur steht sogar wortwörtlich meist im Mittelpunkt des Bildschirms. Man tut was man will.

Grand Theft Auto 4

Bei meinen ersten ungelenken Fahrmanövern mit gestohlenen Autos überrolle ich versehentlich ein paar Passanten. Die Darstellung der physischen Verhältnisse eines solchen Aufpralls ist dabei so realistisch, dass ich gleich mal mit Vollgas über die Gehwege und durch Parkanlagen fahre. Unschuldige Passanten stets im Visier. Der virtuelle Amoklauf. Klar, man zieht mit so einem destruktiven Verhalten die Aufmerksamkeit der spiel-internen Polizei auf sich. Ich werde schließlich verhaftet. Aber egal, denn sofort wache ich ja wieder ohne Geld und Waffen vor der Polizeistation auf. In einem Internetforum empfiehlt ein Spieler sich immer konsequent von der Polizei erschießen zu lassen: Denn dann wacht man vor dem Krankenhaus auf und verliert seine Waffen nicht. Wie man an Raketenwerfer, Schrotflinte oder Baseballschläger kommt, steht im gleichen Internetforum. Man ruft von seinem Handy im Spiel einfach eine bestimmte Telefonnummer an und schon hat man die „einfache“ oder „erweiterte“ Waffensammlung. Also schieße ich nachts im Park von Liberty City mit meinem Scharfschützengewehr eine Laterne nach der anderen aus. Man sollte das aber nicht zu nah an der Straße machen, sonst hat man gleich wieder einen Streifenwagen an der Ferse. Im großen Park-Springbrunnen komme ich dann auf die Idee mit einer anderen geheimen Telefonnummer (Cheat) ein völlig überdimensioniertes Jetboot erscheinen zu lassen und damit den Tümpel aufzuwühlen. Ich fahre so lange im Brunnen umher, bis ich das Boot über den Beckenrand katapultiere und es auf dem Asphalt liegen bleibt. Dann laufe ich einfach auf die nächste Straße. Bleibe mittendrin stehen und verursache damit einen Verkehrsstau. Aber Vorsicht: Nicht alle Fahrer halten an – die aggressiveren Charaktere fahren einen auch schon mal rücksichtslos über den Haufen! Dann laufe ich die Reihe der angestauten Autos und fluchenden Fahrer ab und wähle mir ein Auto aus. Mit einem Druck auf die Dreieck-Taste reißt meine Spielfigur die Autotür auf und zerrt den Fahrer auf die Straße. Die Beifahrerin flieht panisch aus der Beifahrertür. Ich steige ein, gebe Vollgas und remple mich durch die Wagen vor mir. Dann bemerke ich, dass auf dem Rücksitz des gekaperten Autos noch eine Frau sitzt, die bei jeder neuen Beule im Auto und jedem meiner Handbremsen-Manöver hysterisch schreit. Ich kümmere mich nicht darum und wähle einen guten Radiosender aus. Die zahlreichen Radiostationen im Spiel werden unter anderem von Juliette Lewis, Iggy Pop, Femi Kuti und Karl Lagerfeld moderiert. Die Musik reicht dabei von den Sisters of Mercy über John Coltrane bis zu Agnostic Front, Shaggy und Les Savy Fav. Sogar die von mir sonst gemiedenen Musikrichtungen Reggae und HipHop machen im passenden Autotyp Laune. Mit dem Handy kann man jederzeit den aktuell im Radio gespielten Song erfragen, und ihn dann auch außerhalb von Liberty City (also in der echten Welt) als MP3 bei Amazon kaufen.

Wenn man also so mit dem Soundtrack seiner Wahl durch die Stadt fährt, die Kreis-Taste für die authentische Kinokamera mit den sich ändernden Blickwinkeln gedrückt hält, dann fühlt sich das schon nach ganz großem Kino an. Und da man das alles selbst auswählt und steuert, fühlt es sich sogar noch um einiges direkter und „echter“ an. Die Komplexität des Spiels ist so hoch, dass die Gesamtheit an Möglichkeiten mehr als die Summe der einzelnen programmierten Teile ergibt. So können sich individuelle Spielerfahrungen ergeben, die von den Game-Designern eigentlich gar nicht vorgesehen waren. Wenn man nicht der relativ linearen Storyline des Spiels folgt, entdeckt man eine fremde, runtergekommene und zugleich faszinierende Welt. Die Menschen denen man auf der Straße begegnet, lesen Zeitung, nehmen Handygespräche an oder essen einen Hotdog. Und sie sehen fast alle unterschiedlich aus. Sensationell ist das Sounddesign des Spiels: Wenn man auf den Holzbrettern der Strandpromenade läuft und einen Metallmülleimer anrempelt, dann hören sich Schritte, Mülltonne und die Menschen in der unmittelbaren Umgebung auch so an, wie sie sich auch in „echt“ anhören würden!

Die überraschende Faszination für das Spiel wurde sicher auch durch einen relativ abgedunkelten Raum, gute Lautsprecherboxen und einen 40“ Fernseher unterstützt. Den Hinweis aus dem Begleitheft pro Stunde mindestens 15 Minuten Spielpause zu machen, habe ich natürlich ignoriert. Laut Spielstatistik habe ich grade mal 4,49% des Spiels gelöst.

Das Spiel ist in Deutschland frei ab 18 Jahren. Theoretisch gut so, aber gerade so etwas war für mich als Teenager ein ganz besonderer Anreiz. Und sicherlich bekommt man das heute als 14-Jähriger so einfach wie Zigaretten oder Bier. Früher war ich bei den ganzen Gewalt-durch-Computerspiele-Diskussionen meist äußerst liberal. Nach diesem Spiel muss ich meine Position irgendwie neu überdenken: Der technologische Fortschritt der Simulation von Wirklichkeit ist enorm. Die nächsten 20 Jahre werden die Simulation wohl extrem nahe an die echte Erfahrung heranrücken. Faszination und Grauen. Als ich vorgestern um kurz nach Mitternacht die Playstation zurück in die Videothek brachte, fühlte ich mich schon fast so allmächtig wie die 4 Stunden zuvor im Spiel. Soll ich einfach auf die Strasse schlendern und einen Stau provozieren? Den Fahrer rausprügeln? Im schlimmsten Fall wache ich ja sowieso nur kurze Zeit später vor dem Krankenhaus auf und bin wieder wie neu…